Der neue äthiopische Premierminister Abiy Ahmed schließt Frieden mit dem Erzfeind Eritrea – und will den repressiven Staat öffnen. Raphael Albisser zeichnet Ahmeds Werdegang nach.
Anfang Juli haben Äthiopien und Eritrea ihre Feindseligkeit nach zwanzig Jahren beendet. Ein historischer Friedensvertrag wurde unterzeichnet, Flugverbindungen wieder aufgenommen, Botschaften eröffnet.
Vor allem Dank Äthiopiens neuem Premierminister Abiy Ahmed weht ein neuer Wind am Horn von Afrika. Und auch innenpolitisch hat der 41-Jährige, der erst Anfang April sein Amt antrat, verblüffende Signale ausgesendet: angefangen bei der Antrittsrede, in der er sich für die Hunderten, die seit Herbst 2015 bei Massenprotesten von Sicherheitskräften getötet worden waren, entschuldigte. Es folgten die Freilassung politischer Gefangener, die Abkehr von Internetblockaden und am 2. Juni die Aufhebung des landesweiten Ausnahmezustands.
Der neue Premierminister will tatsächlich die repressive Parteidiktatur im Schnellverfahren zu einem demokratischen Rechtsstaat umbauen. Viele nennen Abiy deshalb den „äthiopischen Obama“. Und tatsächlich verkörpert der Charismatiker eine Hoffnung auf Wandel, wie sie Barack Obama in den USA einst zu entfachen wusste.
Neue Hoffnung. In Äthiopien schien ein Umbruch lange unmöglich: Seit den Wahlen von 2005 herrschte die Regierungskoalition mit eiserner Hand und riesigem Überwachungsapparat, sie brachte kritische Stimmen zum Schweigen, setzte die Pressefreiheit aus, ließ Massendemonstrationen brutal niederschlagen. In diesem Machtapparat schaffte Abiy Ahmed den Aufstieg zum Regierungschef – zunächst als Militärkarrierist, später als Parteipolitiker.
Abiy stammt aus einem kleinen Ort in Oromia, der sowohl flächen- als auch bevölkerungsmäßig größten Region Äthiopiens. Geboren 1976, kurz nach der Entmachtung von Kaiser Haile Selassie, wuchs er während der Derg-Diktatur auf, an deren Sturz er sich 1991 in einer kleinen Armeeeinheit der OPDO (Demokratische Organisation des Oromovolks) beteiligte. Später trat er in die neu formierten Äthiopischen Streitkräfte ein, vor der Jahrtausendwende leitete er im Krieg gegen Eritrea eine Geheimdiensteinheit.
Erst nach Kriegsende ging Abiy an die Universität. Er machte akademische Abschlüsse in Informatik, Kryptografie und in „Transformationaler Führung“, teils in Südafrika und in Großbritannien. Und im vergangenen Jahr erlangte er in Addis Abeba einen Doktortitel in Friedens- und Sicherheitswissenschaften.
Der akademische Werdegang spiegelt sich auch in seiner militärischen Karriere wider, die er in den 2000er Jahren fortsetzte: zum einen als Mediator in seinem Heimatort, wo er interkonfessionelle Spannungen entschärfen sollte. Zum anderen eben auch als Informatiker, der die äthiopische Onlineüberwachungsagentur (INSA) aufbaute und zeitweise leitete. Aus dem Militärdienst trat Abiy erst 2010 aus, als er in die Politik wechselte.
Proteste als Sprungbrett. Im selben Jahr gelang Abiy der Einzug ins äthiopische Parlament: für die OPDO, die gemeinsam mit drei weiteren Parteien die Regierungskoalition EPRDF (Revolutionäre Demokratische Front der Äthiopischen Völker) bildet. Besonders ab 2015 konnte er sich dort profilieren, vor allem als in den Regionen Oromia und später Amhara Widerstand gegen das rücksichtslose Entwicklungsdiktat der EPRDF-Regierung aufkam.
Mit den Protesten änderten sich die Kräfteverhältnisse innerhalb der OPDO. Indem er sich als Kritiker der Regierung positionierte, stieg Abiy parteiintern auf, bis er im Februar dieses Jahres Parteivorsitzender wurde – und schließlich sogar Premierminister. Bei der Neubesetzung der Regierungsposten achtete er auf eine ausgeglichene Beteiligung der Koalitionspartner, auch der bisherigen Machthaber. Selbst mit dem Umbau der militärischen Machtstrukturen hat Abiy begonnen – allerdings nicht ohne den alten Generälen einen Abgang mit allen militärischen Würden zu gewähren.
Nicht alle finden den kulanten Umgang mit den langjährigen Unterdrückern gut, und nicht alle begrüßen die Annäherung an den Erzfeind Eritrea. Als Sohn einer christlichen Mutter und eines muslimischen Vaters, der zudem mehrere der wichtigsten Landessprachen fließend spricht, wird Abiy aber in weiten Landesteilen als der Vermittler gesehen, den Äthiopien derzeit braucht. Letztlich bleibt dennoch die Frage, inwiefern Abiy einen dauerhaften demokratischen Wandel herbeiführen kann – und wie weit der ehemalige Militärkarrierist dabei überhaupt gehen will. So entschieden Abiy in den ersten zwei Monaten aufgetreten sein mag: Bis der weiterhin stark militarisierte Staatsapparat sämtlichen hundert Millionen ÄthiopierInnen ihre Grundrechte zugesteht, wird noch viel Zeit vergehen. Rückschläge sind dabei wahrscheinlich.
Raphael Albisser ist Redakteur bei der Schweizer Wochenzeitung (WOZ), der 2013 einen Master in African Studies abgeschlossen hat. Dieser Text erschien in längerer Version zuerst in der WOZ (Nr. 24/2018) und wurde leicht adaptiert.
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